Wir fahren ein bisschen in die Stadt und sind dann 17:45 Uhr da schrieb meine Mutter bei whatsapp.
17:23 Uhr. Es klingelt an der Tür. Ich zuckte zusammen und ließ den Swiffer Staubmagnet fallen.
Mit 2 Einkaufskörben beladen betraten meine Eltern meine Wohnung. Ich zuckte erneut zusammen. Es ist Sonntag. Am Samstag Abend war ich beim Sport und hatte gegen 20:30 Uhr bei LIDL einen kleinen Wochenendeinkauf erledigt, danach gegessen und Playstation gespielt. Seit Sonntag Morgen gegen 9 Uhr höre ich eine „Chill & Clean“ Playlist bei spotify und ALEXA war ganz brav und stumm. Hatte ich etwas verpasst? War über Nacht eine Lebensmittelkrise in Berlin ausgebrochen?
Meine Mutter beruhigte mich. Es ist Sonntag und da haben die Geschäfte geschlossen, deswegen haben wir dir ein BISSCHEN was zu essen mitgebracht.
Es folgte eine 15 minütige Produktpräsentation.
Koberländer Urschinken vom Fleischer Heyer.
Wurst Strauss Frühlingsgruß vom Fleischer Piehler.
Harmonie Vollkornbrot vom Bäcker Kunze.
Mohnkuchen vom Verkaufsmobil der Bäckerei Kindel.
Feuerfleisch tafelfertig vom Fleischer Rohn in Thonhausen
Partybrötchenkranz von der Stangengrüner Mühlenbäckerei.
Zucchini von uns aus dem Garten.
Eingelegte Bauerngurken von uns aus dem Keller.
Rote Johannisbeeren Marmelade von der Oma.
Meerrettichwurzel von der Carmen aus dem Garten.
Knusperflocken aus dem Kaufland.
Ileburger Himbeerbrause aus dem Netto.
Russisch Brot aus dem Penny.
Aglio e Olio Gewürz vom Skiurlaub aus Südtirol
UND
betonte meine Mutter Eier von der Roswitha – HI HI HI – na nicht direkt von der Roswitha das geht ja gar nicht, aber von den Hühnern von der Roswitha HI HI HI, die Tochter, die Franziska die kennst du doch noch aus dem Kindergarten als du klein warst die ist ja auch so wie du.
„Lesbisch?“ fragte ich.
„Nein nicht lesbisch, das andere lesbisch“ sagte meine Mutter.
„Schwul!“ sagte ich.
Meine Eltern zuckten zusammen.
Das Wort schwul laut ausgesprochen in meiner 44m² großen 1.5 Zimmer Wohnung in Friedrichshain sorgte immer noch für Überraschung.
Meine Mutter holte sich zur Ablenkung die Putzsachen, mein Vater bewunderte meine Technik.
HO HO HO der Junge der hat den Fernseher größer als ich 55 Zoll und Dolby Surround von Teufel, das können wir uns nicht leisten, ich habe noch 2 gute Reciever aus der DDR im Keller und auf den Boden HO HO HO
„WAS IST DAS DENN?“ kreischte meine Mutter.
„Saugroboter“ sagte ich.
„Na der macht dir aber nicht die Scheuerleisten sauber“ sagte meine Mutter.
Den ganzen Vormittag war ALEXA stumm, nun meldet sie sich plötzlich.
Eine Scheuerleiste auch Sockelleiste genannt ist einer meist aus Holz gefertigter Beschlag der einen sauberen Anschluss des Bodenbelags an die Wand ermöglicht. Auf der oberen ca. 0,8 cm breiten Kante lagert sich in 44m² großen 1,5 Zimmer Wohnungen in Friedrichshain gern Staub ab.
„SIEHST DU SAGE ICH DOCH“ rief meine Mutter.
Bei meinem Einzug vor 8 Jahren hatte meine Mutter jeden cm² der Scheuerleiste mit mir zusammen gesäubert, das ist einfach, das macht man am besten 2x täglich, das ist wie Zähne Putzen und DAS hätte ich ja schließlich auch gelernt. Anfangs hatte sich meine Mutter nach der Sauberkeit der Scheuerleisten erkundigt, später fragte sie ob ich damit auch zurecht kommen würde, bei jedem Besuch hatten wir alles in der Wohnung geputzt und dann sagte meine Mutter beim gehen „Ach schade jetzt haben wir die Scheuerleisten WIEDER nicht gemacht, na das machen wir auf alle Fälle beim nächsten Mal.
In den letzten Jahren hatte ich ab und zu mal über die 0,8 cm breite Kante der Scheuerleisten gewischt. An den leichten fast nicht sichtbaren Staubfilm hatte ich mich gewöhnt. Sollte es heute endlich soweit sein?
„SO“ sagte meine Mutter „Wo ist denn bei dir der Scheuerla….“
„ICH HABE HUNGER“ rief mein Vater.
Es war 18 Uhr und mein Vater hatte JETZT Hunger. Nicht 17:59 Uhr und auch nicht 18:01 Uhr. Mein Vater hatte jetzt Hunger und wenn mein Vater jetzt Hunger hat, dann hat er JETZT Hunger.
„Eine gute Idee“ sagte meine Mutter „bei uns gibt es ja keine Restaurants mehr“
Ich zuckte zusammen, Hatte ich etwas verpasst? Gibt es in meiner 20.000 Einwohner Stadt wirklich keine Restaurants mehr, sollten sogar der Asia Imbiss an der Annoncenuhr und Ibo´s Dönerexpress die Corona Pandemie nicht überlebt haben. Ich sollte in 1-2 Jahren mal wieder nach Hause fahren um dies zu überprüfen.
Meine Mutter philosophierte über die Möglichkeiten. „Ein schönes deutsches Restaurant oder Italienisch“ das wäre doch was. Oder mal was exotisches vom Fidschi zum Beispiel. Ich ermahnte meine Mutter das Fidschi ein Schimpfwort oder abfällige Bezeichnung für ost- und südostasiatische und entsprechend so aussehende Menschen, insbesondere Vietnamesen ist und erklärte die entsprechenden Länderküchen aus Thailand, Vietnam und China.
Alexa meldete sich wieder.
Hier eine Empfehlung an Restaurants im Samariterviertel
Thai Curry. Exotische Currygerichte in familiärer Atmosphäre
Futura. Preisgekrönte Neapolitanische Pizzen in trendiger Kiezatmosphäre.
Anastasia. Osteuropäische Küche in gemütlichem Ambiente der 20er Jahre
„INDISCH“ rief mein Vater. Ich will indisch essen.
Ich zuckte zusammen. Hatte ich etwas verpasst? Der kulinarische Horizont meines Vaters beschränkt sich eigentlich auf das 3 Gang Menü aus Bockwurst, Brötchen & Senf. Jetzt also indisch.
Wir liefen los. Meine Mutter begann die Straßennamen vorzulesen.„Eldenaer Straße, Samariterstraße, Dolziger Straße, Bänschstraße, Schreinerstraße, Ach so schöne Straßen habt ihr hier, bei uns gibt es ja keine richtigen Straßen mehr.
Ich zuckte zusammen. Hatte ich etwas verpasst? Gibt es in meiner 20.000 Einwohner Stadt wirklich keine Restaurants und Straßen mehr, waren Diesterwegstraße, Holzstraße und Postberg verschwunden. Ich beschloss jetzt doch Weihnachten schon nach Hause zu fahren um dies zu überprüfen.
Plötzlich packte mich meine Mutter am Arm. „R – R – Ri – Ri – Riga – Rigaer Straße“ schnaufte sie. Da können wir nicht hingehen, das habe ich im Fernsehen gesehen und DA soll es ganz gefährlich sein, das gibt es Krawalle und linksautonome Jugendliche.
Mein Vater klopfe sich auf die Stelle seines Kopfes wo er keine Haare mehr hat. „Stahlhelm – Ich habe gedient, die paar Jugendlichen können uns nicht gefährlich werden.
Wir bogen in die Rigaer Straße ab und meine Mutter bewunderte die Häuser. „Ach schön, so schöne bunte Häuser habt ihr hier und die ganzen jungen Leute auf der Straße bei uns sind nach 18 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt und richtige Häuser gibt es ja auch nicht mehr“
Ich zuckte zusammen. Hatte ich etwas verpasst? Gibt es in meiner 20.000 Einwohner Stadt wirklich keine Restaurants, Straßen und Häuser mehr? Ich beschloss doch schon im August meinen Vater zum Geburtstag zu besuchen um dies zu überprüfen.
Wir erreichten das in warmen Farben gestaltete, stilvoll-moderne Lokal mit Wandmalereien in dem Spezialitäten der indischen Küche serviert werden.
Der Kellner gab uns die Speisekarte so dick wie ein Buch. 500 Gerichte in 3 Schärfegraden, Europäische Schärfe, Hausschärfe und authentische indische Schärfe, die habe aber noch NIE jemand bestellt.
Ich wählte ein mildes veganes Curry in Hausschärfe, meine Mutter eine Linsensuppe und so ein komisches indisches Brot. Mein Vater bestellte triumphierend selbst. Würziges Chicken Tikka Masala indische Schärfe sagte er. Der Kellner zuckte zusammen.„Sind sie sich da ganz sicher?“ fragte er nach.
Mein Vater klopfte sich auf die Stelle seines Kopfes wo er keine Haare mehr hatte und sagte: Stahlhelm – Ich habe gedient, bei der Armee hatten wir Bautzner Senf scharf und Gemüsemeerrettich extra scharf, das schaffe ich schon und ein Bier bitte – Radeberger.
10 min später wurde das Essen serviert. Ach ist das lecker sagte meine Mutter, sowas gibt es ja bei uns nicht und dein Vater isst ja gar kein indisch. Auch ich war sehr zufrieden. Mein Vater der eben noch von der Armeezeit sprach hatte sein Chicken probiert und verstummte sofort.
Sofort fing meine Mutter an zu schimpfen. „Vater was ist denn los? Ist es dir zu scharf, hab ich doch gleich gesagt dass das zu scharf ist, iss wenigstens ein wenig Reis, du schwitzt ja schon, Ach dein Vater der macht immer Sachen zu Hause isst er nur Bockwurst Brötchen Senf und JETZT will er plötzlich Indisch, wusste ich doch gleich dass das dir nicht schmeckt, 44 Jahre verheiratet der hat doch noch nie indisch gegessen bei uns zu Hause im Kaufland ist ein Inder da ist es nicht so scharf da waren wir schon paar mal.
Der Kellner hatte in der Zwischenzeit das Chicken Tikka Masala unauffällig abgeräumt, mein Vater bestellte ein zweites Bier – Radeberger uns leerte es in einem Zug.
Wir forderten die Rechnung an. Der Kellner kam mit Quittung und Kartenlesegerät 46,80€ macht das, meine Mutter kramte die Münzen zusammen. 47,50€ stimmt so. Ich erklärte meine Mutter das 10% Trinkgeld in Berlin üblich sind und gab ihr eine 2€ Münze. Sie schlug mir auf die Hand. „Ach quatsch ich gebe doch nicht so viel Trinkgeld für ein veganes Curry das ist ja nicht mal was richtiges zu essen, und das bisschen Linsensuppe und das komische indische Brot, außerdem hat dein Vater ja gar nicht richtig gegessen und wieder 2 Bier getrunken. Wir verliesen unauffällig das Restaurant.
„Jetzt noch ein Eis“ forderte mein Vater ein.
„Ich lade euch ein“ entgegnete ich.
„Ja das ist eine gute Idee“ sagte meine Mutter, aber ein Eis ohne Chemie denn Eis mit Chemie mögen wir nicht da bekommt dein Vater immer Durchfall.
„Ja da bekommen wir immer Durchfall“ sagte mein Vater.
Ich empfahl einen kleinen Eisladen in der Schreinerstraße. Eis am Stil, 100% Hausgemacht, vegan und ohne Zucker.
Mein Vater las laut vor. Eis am Stil, 100% hausgemacht, vegan und ohne Zucker na da WOLLEN wir mal SEHEN ob das SCHMECKT.
Wir studierten das Angebot. Ich bestellte Gurke mit Limette und meine Eltern überlegten noch. „Ich nehme Mango“ rief mein Vater.
„Mango isst du doch gar nicht“ sagte meine Mutter.
Wir nehmen etwas anderes am besten Erdbeere ohne Chemie.
Ich bestellte. 1x Gurke Limette für mich und 1x Erdbeere für meine Eltern die teilen sich das.
„Ja sehr gern, ist auch alles hausgemacht“ sagte die Verkäuferin, 4,60€ bitte.
Ich zwinkerte ihr zu und gab 5€, ist ja auch alles hausgemacht.
Meine Vater probierte. „Schmeckt gut aber irgendwie anders, vegan und ganz ohne Chemie das mögen wir doch nicht wir wollen Chemie und Durchfall.
„Ja“ rief meine Mutter wir wollen Chemie und Durchfall das schmeckt dann wenigstens richtig nach Erdbeere und nicht so vegan und außerdem ist ohne Chemie ja auch so teuer 4,60€ für das BISSCHEN Eis das waren ja früher 10 Mark und Trinkgeld hast du auch noch gegeben für Vegan das ist doch gar kein richtiges Eis.
Wir verliesen die Schreinerstraße. Ich brachte meine Eltern zurück in das Hotel Andels an der Landsberger Alle.
Mein Vater entdecke die Total Energies Tankstelle und jubelte begeistert.
Ja 3 Gang Menü Bockwurst Brötchen Senf mit viel Chemie endlich was richtiges zu essen.
Erleichtert lies ich meine Eltern zurück.